Jakobusweg -Eine Wanderung für mich - Teil 2

Mein Irrweg über Camas 

Der Anfag des Weges in Sevilla ist nun gefunden, nur wie geht es weiter nach all den Anfangsschwierigkeiten?

Da wandere ich nun durch Sevilla, fest davon überzeugt den Weg nun zu haben. Nach der Brücke, die ich nun zum dritten Mal überquere, geht es gleich rechts in eine so richtig spanische Strasse. Für mich erscheint sie so, und ich fühle mich voller Freude.
Bald beginnt es sich zu ändern, die Häuserzeilen werden weniger, ich nähere mich einer verkehrsreichen Gegend mit vielen Straßen und Brücken. Was nun, da ist keine Muschel mehr zu sehen, doch kein Problem ich habe ja den Flyer mit einem Plan und die Hinweise des Paares von vorhin. Über eine Brücke, die einen breiten Fluss überspannt, führt der Weg und nach Camas soll ich wandern. Doch irgendetwas passt nicht. Mit Hilfe meines Wörterbuches schaffe ich es noch etwas unsicher nach dem Weg zu fragen. Der Mann zeigt mir den Weg, schlägt gar vor ich solle den Bus nach Camas nehmen, dann wäre ich in ein paar Minuten dort. Doch das widerstrebt mir, da ich doch ein Perregrino bin und kein Fahrgast. Auch traue ich seiner Wegbeschreibung nicht, denn auf meinem Plan liest es sich anders. Also gehe ich weiter im guten Gefühl, es besser zu wissen.
Wieder zweifle ich, wieder frage ich. Diesmal ein junges Pärchen auf dieser Brücke. Was sie mir sagen wollen ist für mich entmutigend, denn ich soll einsehen, in einer völlig falschen Richtung unterwegs zu sein. "Da geht es nach Camas". Ok, ich akzeptiere und nehme die andere Strasse. Da hatten die zwei jungen Menschen doch recht, denn nun sehe ich, dass es zwei Flüsse oder mindestens einen Fluss und einen Kanal gibt.
Frohgemut gehe ich weiter. Nun kommen Industriebauten, die mir die Sicht zum Fluss nehmen über den wieder eine Brücke führt. Ich irre in einem Industriegebiet umher und verliere etwas die Orientierung. Schon wieder entmutigt und doch nicht, höre ich diese hellen spanischen Trompeten, wie ich sie aus den Westernfilmen kenne, die in Mexiko oder im Süden der USA spielen. Diese Trompeteklänge haben mir schon immer gefallen und da ich nun nicht weiss, wo es lang geht ,erlaube ich mir in Richtung dieser Trompetzenklänge zu gehen. Ich vermute ein Konzert oder gar ein Fest. Doch nichts von dem trifft zu. Da stehen etwa 60 Trompetenspieler mitten in einem Industriegebiet und üben. Dirket vor dem Regierungsgebäude und dem Parlamentsgebäude Andalusiens, das ist wohl in etwa wie die Landesregierung bei uns. Es ist eine Probe für sie. Wie ich später erfahren werde, üben sie für die Semana Santa, die heilige Woche in Spanien. Es ist, wie wir sie nennen, die Karwoche und der wichtigste Tag in dieser Woche ist für die Spanier Gründonnerstag und der Karfreitag. Doch dazu später mehr. Ich stelle mich an einen Platz an dem ich auch gut sehen kann und höre diese vielen, überwiegend jugendlichen Spanier, Trompete spielen. Ergreifende Musik, die mir manchmal einen Schauer über den Rücken fließen lässt. Etwa ein halbe Stunde harre ich aus und erfreue mich daran, dann mahnt mich meine innere Stimme zum Aufbruch, denn schließlich ist es schon Nacht und ich mag ja auch noch ein Bett bekommen, irgendwann heute.

Als ich weitergehe und mich dem anderen Ende der Straße nähere lacht mein Herz. Da ist er ja der Fluss oder der Kanal und da ist auch diese schmale Brücke, die ich im Plan eingezeichnet sehe. Da geht es also lang, und auf der anderen Seite müssen das die Lichter von Camas sein. Bei der Brücke angekommen fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Da ist ja eine Markierung, ein gelber Pfeil. Wolfgang hat mir diese doch auf Bildern gezeigt, und mich darauf hingewiesen, dass das auch Wegweiser auf dem Jakobusweg sind. Jetzt hab ichs also kapiert. Mit meiner Taschenlampe folge ich den Pfeilen, es ist als hätte ich den Jakobusweg nochmal begonnen. Ich bin so im Glück und in der Freude, dass ich erst wieder erwache als ich den Ort durchwandert habe und schon wieder dabei bin, ihn zu verlassen. Mittlerweile ist es schon kurz nach 22.00 Uhr und ich habe noch keine Übernachtungsmöglichkeit. Also kehre ich um und gehe zurück in den Ort. Bei der Policia soll ich nach einer Unterkunft fragen, sagte der spanische Jakobsbruder. Da ist auch ein Hinweisschild . Es gibt in Spanien drei verschiedene Polizeibehörden. Zum Einen die Policia Local, die Ortspolizei, dann die Policia National und dann noch die Guardia Civil, eine Organisation aus den Zeiten Francos. Ich stehe vor der Policia Local und ich klingle.

Ein besonderer Moment für mich. Die Tür des Hauses geht auf und ein spanischer Polizist kommt zu mir an das Torgitter. Meine Frage nach einem Schlafplatz begegnet er mir etwas unwirsch mit der für mich klar verständlichen Aussage, dass ich nicht bei ihnen in der Polizeistation schlafen kann und erklärt mir den Weg zu einem Motel. Dabei lerne ich auch gleich das Wort für Kreisverkehr. "Gloriae", sagt er. Das erinnert mich spontan an die Heiligenscheine der Statuen in der Kirche in dem Ort meiner Kindheit und Jugend. In meinem Wörterbuch finde ich den Begriff nicht als ich auch nachschaue, wie ich dann im Motel nach einem Bett fragen muss.
Der Eingang zum Motel liegt gleich gegenüber als ich am Gloriae ankomme. Ich muss in eine Wirtschaft rein und an der Theke bekomme ich die Gelegenheit zu fragen. "Completo", bekomme ich zu hören und die Handbewegung bestätigt was ich befürchte. Mein Wörterbuch auch. Alles belegt! So lässt er mich stehen und kümmert sich wieder um seine Gäste. Was nun, erstmal raus aus dem Krach und dem Zigarettenqualm. Draussen auf der Straße beschließe ich nochmals zur Policia Local zu gehen um zu fragen.
Wieder klingle ich vorsichtig, schon in Erwartung einer unfreundlichen Begegnung. Doch siehe da der gleiche Polizist wie vorher, nur um vieles freundlicher. Schnell begreift er dass ich kein Glück hatte und erklärt mir geduldig den Weg zu einem Hotel. Nun zweimal an einem Gloriae vorbei und eine Allee entlang, dann liegt links ein Hotel. Nun helfen mir meine unwillig gelernten Französischkenntnisse aus der Schule, um wenigstens Brockenweise zu kapieren, was er mir in Spanisch erklärt. Das Hotel finde ich gleich und betrete erwartungsvoll die Eingangshalle. Ein wirklich freundlicher Portier gibt mir zu verstehen, dass alle Einzelzimmer belegt sind.
Mein Gesichtsausdruck muss entsprechend gewesen sein, denn sein älterer Kollege erkennt meine Lage und schlägt mir vor, dann eben ein Doppelzimmer zu nehmen.
Und wenn es ein Dreierzimmer gewesen wäre, ich hätte es genommen. Hauptsache ein Bett, Ruhe und Schlafen. 58 €  im Voraus. Nicht wenig, doch es ist meine erste Nacht in Spanien und es wird schon nicht so weitergehen. Als ich im Zimmer bin merke ich erst beim Ausziehen meiner Schuhe, wie fertig ich bin und wie mir meine Füße schmerzen. Naja es ist ja auch schon halb Zwölf am Abend und ich hab schon einige Kilometer des Weges geschafft. Bestimmt mehr als doppelt soviel wie nötig gewesen wären. Erstmal duschen und dann meine Füße eincremen mit der Fußcreme, die ich von Edith habe. Immer eincremen habe ich gehört, morgens und abends. Wie wichtig das ist, erlebe ich später immer mehr auf meiner Wanderung. Und nun hinlegen und schlafen, welch herrliches Gefühl. Ein Bett, eine wärmende Decke und Ruhe. Kalt ist es nun nur noch draussen. Leicht schlafe ich ein und vergesse im Schlaf meine schmerzenden Füße. Unmerklich schnell erwacht der Tag, ich höre Vögel zwitschern und die ersten Sonnenstrahlen motivieren mich zum Aufstehen. Heute geht es nun richtig los, heute werde ich den ersten ganzen Tag wandern. Nach der Morgenwaschung packe ich erstmal meinen Rucksack anders. So wie ich hier gestern angekommen bin macht das wenig Sinn. Den Schlafsack packe ich nun in den Rucksack, das ist besser als wenn ausserhalb so rumhängt. Schnell noch meine Dosis Magnesium, die ich mir noch vor der Abfahrt in einer Apotheke  für sechs Wochen besorgt habe und dann gehe ich runter in den ersten Stock in den Frühstücksraum.

Da sind einige Gäste schon sehr mit dem Frühstück beschäftigt. Lauter Spanier wie ich bemerke. Es gibt sogar Obstsalat. Das kommt mir entgegen, denn schon seit längerem esse ich Morgens nur Obst und trinke Tee dazu. Der Obstsalat ist schon ein bißchen am gären, doch das macht nichts, es ist schließlich mein erstes Frühstück in Spanien, da kann ich doch großzügig sein.

Unruhig werde ich, ich will los, wandern, meinen Weg weitergehen.
Also verlasse ich das Hotel und tatsächlich, da gehen zwei wie Pilger aussehende Menschen auf der Strasse. Nachts bin ich hier schon mal vorbeigekommen, wenn das der Pilgerweg ist, geht es mir durch den Kopf. Na dann los. Nun sehe ich auch gleich die gelben Pfeile, mal an Laternenmasten, mal an Bordsteinen und Häuserwänden. Wieder bin ich am Ortsausgang und es geht entlang der Straße weiter. Die zwei vor mir sind schnell und mit kurzen Hosen unterwegs. Brrr, das wäre mir zu kühl, da trage ich doch lieber meine Wanderhosen, die ich mir extra gekauft habe und die durch Reissverschlüsse zweimal verkürzt werden können. Was mir als erstes auffällt ist nicht die schöne Landschaft Andalusiens, sondern der viele Müll, der hier überall rumliegt und mich ärgert. In Deutschland wäre das ein Eldorado für Receycling-Firmen. Achtlos wird hier in der Natur alles abgeladen, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt.

Je weiter ich mich von diesem Vorort von Sevilla entferne desto weniger Müll ist für mich zu sehen. Nun geht es in die Natur. Ich folge einem Weg der sich plötzlich teilt. Auf meinem Flyer erkenne ich einen Weg für Wanderer, der durch die Natur führt und nach rechts abzweigt, und für Radler nach links auf einem Schotterweg. Ich bin ein Wanderer also gehe ich nach rechts, auch wenn der Weg links kürzer ist. Doch schon bald findet meine Wanderung in diese Richtung ein jähes Ende. Menschen mit Schutzanzügen geben mir zu verstehn, dass der Weg gesperrt ist. Das wundert mich nicht, dass die hier so rumlaufen, bei dem Müll der hier überall rumliegt. Da hat sicher einer was Giftiges weggeworfen das nun entsorgt werden muss. Der Weg links ist in Sichtweite und so entschließe ich mich, querfeldein dahin zu wandern. Gar nicht so einfach, bei dem was hier wächst, und immer wieder stellt sich mir die Frage: "Ob es hier wohl Schlangen gibt"? Ein bißchen mulmig ist mir schon in diesem dichten Bewuchs mit Pflanzen, die ich nicht kenne. Immer wieder zeigen sich "Inseln" auf die ich mich dann gern flüchte. Endlich geschafft, ich habe den Schotterweg erreicht und folge nun dem Verlauf der Straße. An einer passenden Stelle mache ich dann meine erste Rast auf meinem Jakobusweg. Der Stand der Sonne und mein Magen deuten auf Mittag hin.Wie ich da sitze kommen doch glatt andere Pilger vorbei, erst Franzosen, dann ein holländisches Pärchen, denen ich später noch ein paarmal begegne, und andere, die es eilig haben. Ich bin nicht allein unterwegs, das sind noch mehr heute auf dem Weg, ein gutes Gefühl.
In weiter Ferne sehe ich auch wie sich die Holländer niederlassen um ihrerseits eine Rast zu machen. Nach einer gefühlten Weile packe ich nach einem kurzen Schläfchen meine Sachen zusammen und wandere weiter. Wieder begenge ich weiteren Pilgern. Da ist sogar eine ganze Gruppe, von sechs oder sieben Pilgern, die gestikulieren und hin und her gehen. Bald sehe ich weshalb. Der Weg ist überflutet, da geht es nicht trockenen Fußes drüber. Drei schlagen sich nach rechts in die Büsche um einen Übergang zu finden. Zwei andere Pilger und ich ziehen unser Schuhe aus, krempeln die Hosenbeine hoch und waten durch das knietiefe Wasser. Kalt ist es, doch es ist ein besonderes Erlebnis, das ich mit anderen Pilgern teile, da ist das kaum spürbar. Drüben angekommen ziehen wir wieder die Schuhe an, lachen darüber und da kommen auch die aus dem Gebüsch. Auch sie haben es geschafft und alle wandern weiter, die Einen schneller, die Anderen langsamer. So ein Erlebnis verbindet mich mit ihnen, das ist ein schönes Gefühl.

Mit einem Pilger gehe ich ein ganzes Stück, doch habe ich vergessen, wer er ist und woher er kommt, das wird mir in diesem Bericht wohl noch öfter bewußt werden. Ich habe ein gutes Tempo und mag schneller gehen als er, deshalb ziehe ich davon. Da kommt schon der nächste Ort und am Ortseingang ein Friedhof. Ich mag Friedhöfe, sie sagen mir soviel über die Bewohner. Denn so wie die Bewohner mit ihren Toten umgehen, so gehen die Menschen auch mit sich selbst und Mitmenschen um.
Also betrete ich den Friedhof. Eine Frau ist dabei, ein Grabmahl zu reinigen. Viele Kunststoffblumen gibt es hier, kaum echte Blumen. Für die wäre es auch viel zu heiß und würden schnell welken. Gemauerte Grabkammern, in denen die Körper verwesen, sind teilweise geöffnet und sauber gemacht worden. Hier mache ich nun ein Bild von einem Grab, das ich Dir zeigen möchte und es deshalb hier einfüge. Es scheint den Angehörigen wichtig zu sein, wie ihre Lieben nach dem Tod untergebracht sind. Doch schau selbst und fühl hin.

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Was sich nach dem durchwandern dieses Ortes, der übrigens Guillena heißt, ergibt, lässt mich im Nachgang schelmisch schmunzeln, ob der Unbedarftheit, mit der ich mir das einfädele.