Jakobusweg -Eine Wanderung für mich - Teil 3

Meine erste Lektion bezüglich Überheblichkeit und Selbstüberschätzung

Heute wird noch ein ganz besonderer Tag für mich, denn ich darf mich ganz anders erleben und etwas ganz Neues an mir entdecken. Ja das dicke Ende kommt noch!

Als ich den Friedhof mit seinen schönen Ruhestätten verlasse, begegne ich den Pilgern, die ich erst vor kurzem überholt habe. Spanier, Niederländer und Franzosen. Ich hatte sie während des Tages nach und anch kennenlernen können. Sie kommen fast wie eine geschlossene Gruppe und ich schließe mich ihnen an. Der Ort, durch den wir nun wandern, hat wenig Wirkung auf mich und so achte ich mehr auf meine Mitpilger, die mir irgendwie suchend erscheinen. Was schauen die denn alle so, der Weg ist doch erstklassig gekennzeichnet.

Plötzlich als wir schon wieder Richtung Ortsende wandern, bleiben sie stehen und beraten sich. Ich gehe weiter, denn es ist doch noch zu früh um Halt zu machen. Einer der Pilger ruft mir noch auf englisch nach: "Where do you sleep tonight?" Ich hebe nur die Arme und gehe weiter, denn die Sonne steht noch hoch am Himmel und es ist noch viel Zeit bis es Nacht wird, ausserdem habe ich ja auf dem Prospekt, den ich in Sevilla an der Touristinfo bekommen habe, gesehen, dass da auf halbem Weg noch ein kleiner Ort oder sowas kommt, wo ich sicher was zum Schlafen bekomme! Als ich mich nocheinmal umdrehe, sind sie schon wieder im Ort und schauen sich suchend um. Ich gehe weiter, bloß keine Zeit vergeuden. Und so nehmen die Ereignisse ihren Lauf.

Ich durchschreite eine Mulde, in der ein kleiner Bach fließt, und als ich auf der anderen Seite wieder hoch komme, sind die Pilger verschwunden. Na gut, wo gehts weiter, ich muss etwas suchen bis ich die nächste Wegmarkierung finde,. Ah, da gehts lang, den Berg hoch, vorbei an einem Industriekomplex. Hier fällt mir nun auf, dass viel weniger Müll in der Umgebung rumliegt, das freut mich und ich wandere frohgemut weiter. Ich durchwandere eine Hohlweg, den durch viele Regengüsse ausgeschwemmt ist. Links und rechts von mir erstrecken sich in Augenhöhe unendlich scheinende Felder, die zwar beackert aussehen, doch deren Frucht mir unklar bleibt. Ich komme gut voran, obwohl es stetig bergan geht und es noch sehr warm ist.
Irgendwann ist es Zeit, mal wieder was zu essen. An einem etwas flacheren Stück setze ich mich nieder, ziehe meine Wanderschuhe aus und mache es mir bequem. Was ich noch im Rucksack habe, gibt die letzte Mahlzeit an diesem Tag, denn es liegt ja eh nur noch wenig Wegstrecke vor mir, und das glaube ich wirklich in dem Moment. Während meiner Rast kommen ein Mann und eine Frau des Weges. Sie erscheinen mir als Paar und machen wohl noch einen Abendmarsch, denn sie sind sehr zügig unterwegs, zu schnell für einen Spaziergang. Zum ersten Mal übe ich ganz bewusst den Gruß auf spanisch. Meinem Wörterbuch habe ich die Worte und die Aussprache entnommen. "Buenos tardes" sage ich artig und sie grüßen mich freundlich zurück, ohne ihren Marsch zu unterbrechen. Es klappt, denke ich und lege mich ein bißchen hin, um mich noch etwas auszuruhen. Ich hab ja genug Zeit und bis zum Schlafplatz schaff ich das locker. Erst als das Paar wieder zurückkommt, entschließe ich mich meinen Rucksack wieder zu packen, die Stiefel zu schnüren und mich wieder auf den Weg zu machen. Zwei Äpfel und etwa ein Liter Wasser habe ich noch für den Rest des Tages, der noch lange genug andauert, damit ich noch bei Tageslicht meine Schlafgelegenheit finden kann.
Der Weg wird bald flacher und ich kann das Gelände etwas überblicken. Es sieht sehr spanisch aus und ich erfreue mich an der Natur. Da ich keine Jakobswegsberichtkonformen Bilder machen mag, fotografiere ich mit meiner Digitalkamera, die ich so eingestellt habe, dass ich Tausend Bilder machen kann, jede Blume, die sich mir zeigt und die anders ist als die vorherigen. So bin ich mit etwas anderem beschäftigt und das Wandern erscheint leicht. Bald kommt ja dieser kleine malerische Ort in dem ich übernachten werde.

       

 

Doch der Weg geht weiter und weiter. Mittlerweile ist mein Wasservorrat erschöpft und ich sehne mich dem Ort entgegen, der aus ein paar Häusern, vielleicht einer Kirche und einem Gasthaus besteht. In der Mitte steht dann bestimmt ein Brunnen, an dem ich meinen Durst stillen und meine Wasserflasche füllen kann. So jedenfalls meine bildliche Vorstellung. Doch ich bin hier in Südspanien und hier ist es anders als auf der Alb, im Schwarzwald oder am Neckarufer. Hier ist alles trocken, kein einziges Rinnsal kreuzt meinen Weg und langsam tun mir meine Füße weh. Weiter gehts, weiter über staubige Wege, karge Landschaften mit Gestrüpp und hin und wieder wundervollen Blumen, die ich gern fotografiere.

Das Wandern wird langsam mühselig und beschwerlich. Um mich etwas abzulenken, raste ich kurz, esse einen der Äpfel und hole meinen I-Pod, den ich extra für die Wanderung auf dem Jakobsweg gekauft habe, heraus. Auf ihm ist eine Musik gespeichert, die ich aus Stuttgart bekommen habe. Zwei Wochen bevor ich aufbrach nach Spanien war ich in Feuerbach in einem Hirnforschungsinstitut, um mich untersuchen zu lassen. Eine vor viereinhalb Jahren erlebte Kleinhirnischämie behindert mich seither beim Lernen und besonders beim Auswendiglernen. Ich wurde ähnlich wie bei einem EEG untersucht, es wurden mir Fragen gestellt und ich durfte Reaktionstests machen. Anhand der Untersuchungsergebniss wird dann auf einer CD eine Musik zusammengestellt, die das Lernen wieder fördert. Dass die Methode Erfolg hat, zeigen viele Heilerfolge des Instituts. Damit ich die Musik mitnehmen kann auf meine Wanderung haben sie sich besonders beeilt und mir die Cd per Post zugestellt. So konnte ich sie noch auf den I-Pod überspielen und mitnehmen. Die Musik sollte ich ja beim Lernen hören, da sie dann bestimmte Gehirnregionen anregt und so das Lernen wieder erleichtert. Da ich nun eben wandere und die Eindrücke des Weges und über mich wirken lassen kann, habe ich mir vorgenommen, diese Musik möglichst oft während des Weges zu hören. Sie ist sehr angenehm zu hören und ich bin vom Gehen etwas abgelenkt. Und so gehe und gehe ich meines Wegs. Mittlerweile sind meine Wasservorräte aufgebraucht und nun wäre es an der Zeit, dass dieses wunderschöne Gehöft aus meiner Fantasie auftaucht. Immer wieder sehe ich ein Haus etwas vom Weg entfernt. Doch ich mag auf dem Weg bleiben und so verweigere ich mir diese Möglichkeiten des Wassers, ausserdem komme ich ja bald an. Die Füße schmerzen immer mehr und der rechte mehr als der linke, nun wird das Wandern doch schon recht beschwerlich und die Euphorie macht der Erschöpfung Platz. An einem Schotterhaufen, der am Wegrand abgekippt wurde, mache ich wieder eine Rast und esse meinen letzten Apfel. Oh wie genisse ich den Apfelsaft, den ich deutlich spüren und schmecken kann. Und sogleich fällt mir auch wieder eine Geschichte dazu ein: "Weshalb kann nachgewiesen werden, dass Adam kein Schwabe war? - Ein Schwabe hätte aus dem Apfel im Paradies Most gemacht!" - Lach nur Peter Josef, bald wird es Dir vergehen und es wird ernst, sehr ernst.

Während ich mich noch an mir freue, höre ich in der Nähe durch das Dickicht Verkehrslärm. Eine Straße! Aha, dann ist eine zivilisierte Ansammlung von Häusern sicher schon sehr nahe. Das gibt neuen Schwung. Doch oh weh meine Füße. Ich muss sie langsam an das gehen gewöhnen, sie schmerzen fürchterlich und wie ein alter Mann komme ich langsam in Tritt. An der Straße angelangt, erkenne ich, dass ich diese überqueren muss, denn auf der anderen Seit erkenne ich den weiteren Verlauf des Pilgerweges. Es geht nach links weiter, das sagt auch der Stand der Sonne, denn mein Etappenziel liegt ja nördlich. Doch auch dieser Weg zieht sich unendlich lang. Das Gefühl, dass nach der nächsten Kurve so etwas wie ein Dorf kommt, verschiebt sich Meter um Meter. Ich habe Durst, ich habe Hunger und ich bin müde. Mir reichts für heute, doch etwas anderes legt noch ein Brikett drauf, um den Leidensdruck noch etwas zu erhöhen.

Plötzlich ereignet sich etwas, das mir unbegreiflich erscheint und ich so noch nie erlebt habe. Mein Körper bleibt stehen! Einfach so! Die Füße weigern sich! Die Beine und der ganze Körper schließen sich dem an. Was ist denn nun los? War's das? Die Schmerzen in meinen Füßen werde unerträglich, das glaube ich zumindest zu diesem Zeitpunkt. Später auf meinem Weg erinnere ich mich an diese Situation als ich einem Spanier vor der Apotheke begegne und er mir auf meinen fragenden Blick nur sagt: "Finito Camino!" . Das war's für ihn. Und bei mir? Ich beginne zu zweifeln, und das schon am zweiten Tag! Doch etwas in mir ist ganz ruhig und gelassen, nur kann ich das in dieser Situation kaum wahrnehmen. Nun wo ich das schreibe, ist es anders und es ist eine schöne Erinnerung, die sich da zeigt. Doch nun wieder zurück zum Camino!
Ganz bewusst muss ich mich selber dazu auffordern, wieder zu gehen. Ganz bewußt einen Fuß vor den andern setzen. Ich bin fix und fertig, es ist höchste Zeit anzukommen! Doch wo komme ich an, wenn überhaupt! Wie weit ist es denn noch, habe ich denn noch viel des Weges vor mir? Verzweiflung macht sich breit und doch gehe ich weiter!

Da erscheint vor mir ein Hoffnungsschimmer, ein Schild: "Restaurante". Na endlich bald gibt es Wasser. Der Weg zum Restaurante biegt links ab. Jetzt bin ich soweit den Camino mal zu verlassen, denn der Durst ist größer als die selbst auferlegte Moral. Restaurante bedeutet Wasser, Essen und vielleicht die Möglichkeit eines Bettes. Auf, auf Peter Josef, das Ziel ist nahe. Der Schritt wird scheinbar leichter und die Schmerzen stärker!

 

Was sich noch alles ereignet bis ich diesen Sonneuntergang zu sehen bekomme und von wo aus ich ihn dann erblicke, bedarf noch einiger Worte, die ich bald folgen lassen darf. Es wird spannend für mich und sehr lehrreich!