Jakobus-Weg - Eine Wanderung  für mich - Teil 1 

Wie es seinen Anfang nahm bis Sevilla

Nach drei deutlichen ersten Hinweisen auf den Jakobusweg, die wohl noch zu undeutlich für mich sind, begegne ich in Reit im Winkl bei einem Kongress von Bert Hellinger einer Frau, die mir noch einmal in den schönsten Bildern von ihrer Wanderung auf dem Jakobusweg durch die Pyrenäen berichtet. Nun ist es mir endgültig klar, wie mein Lebensweg weitergehen soll. Der Weg beginnt, ein kleiner Schauer begleitet diese Erkenntnis. Der Entschluss ist gefasst und auch ein Termin findet sich bald und wird  von mir festgelegt. Der 27. März 2007 soll es sein. Auf der Suche nach Informationen im Internet finde ich neben vielen für mich verwirrenden Wanderberichten auch Wolfgang W. Meyer aus Starzeln. Er ist Bruderschaftsmeister der Jakobusbruderschaft Killer . Ein Telefonat und wir treffen uns, damit er mir ein paar Tipps geben kann, da ich nun doch etwas unsicher werde, ob dem was ich da erleben soll. Die Wanderung beginnen werde ich also in Jaca. Das wären etwa 730 Kilometer, das erscheint erst viel, doch ich rechne mit sechs Wochen Wanderzeit, da sind das durchschnittlich gerade mal ca. 20 Kilometer pro Tag. Dafür fühle ich mich fit genug und bin zuversichtlich. Mit dem Flugzeug von Stuttgart aus nach Barcelona fliegen und mit dem Bus oder der Bahn weiter bis Jaca reisen. Wolfgang macht mir noch mehr Lust, diesen Weg zu gehen und erwähnt nebenbei auch, den Via de la Plata, den er selbst noch wandern will, sobald er zwischen seinen vielen Terminen, die sich offenbar nur um das Thema Jakobusweg drehen, Zeit findet. Doch diesem Hinweis schenke ich wenig Beachtung, denn ich will ja den Camino Francaise gehen, von dem ich glaube, es sei der eine Weg, den alle gehen. Ich habe vor die Wanderung ohne Wanderführer zu machen, um meinen ganz eigenen Weg gehen zu können. So lese ich weder das Buch von Paolo Coelho, noch das von Hape Kerkeling. Weitere Bücher sind mir eh unbekannt. Wolfgang überzeugt mich, dass ich wenigstens Etappenpläne, die er mir gleich ausdruckt, mitnehmen soll. Der Camino Francaise ist zwar gut erschlossen und mit Herbergen und Bars reich gesegnet, besser als alle anderen, nur es ist einfach sicherer, damit ich mich nicht verlaufe. Auch zeigt er mir noch, wie der Weg markiert ist, doch habe ich da schon innerlich die Wanderung begonnen und abgeschaltet gehabt, was sich später noch zu einem echten Problem entwickeln wird.

Der Flug nach Barcelona ist schnell gebucht und die Vorfreude groß. Nur mit der Verbindung nach Jaca gibt es Schwierigkeiten. Auch die Unterstützung durch ein Reisebüro mit Kontakten nach Spanien erbringt keine klare Verbindung, erste Bedenken und Zweifel melden sich an ob meines großen Vorhabens. Und so ist 6 Tage vor der Abreise noch offen, wie ich in Jaca ankommen werde, ob mit dem Bus oder der spanischen Eisenbahn. Am Freitagmorgen, 5 Tage vor der Abreise, erwache ich mit dem klaren Bild, den Weg von Sevilla aus zu gehen. Hoppla, was ist nun. Das hat mir doch schon Wolfgang gesagt und ich habe es unbeachtet gelassen. Nun wiederholt sich dieser Hinweis auf diesem Wege, ich spüre etwas Großes, und folglich rufe ich im Reisebüro an und erkundige mich nach Flügen von Barcelona nach Sevilla. "Kein Problem" bekomme ich zur Antwort. "Da geht jede Stunde ein Flieger!". Die ausgedruckten Etappenpläne landen im Papierkorb, denn der Entschluss, den Via de la Plata zu wandern, steht fest. Ein tolles Gefühl der Stärke und Sicherheit ist erwacht und lässt mich spannend dem Abreistag entgegenleben. Frohgemut erledige ich die noch nötigen Einkäufe und erwarte ungeduldig den Abreisetag.

Am Dienstag, dem  27. März fährt mich Edith, wir sind schon seit 18 Jahren zusammen, nach Stuttgart zum Flughafen.Schon während der Fahrt steigt die Spannung im Auto und die Luft knistert. Unser Abschied ist anders als sonst, es ist ein besonderer Abschied für uns, weshalb, werden wir erkennen, als wir uns nach 40 Tagen wiedersehen. In der Wartezone telefoniere ich noch einmal mit meinem Sohn Andreas. Philipp, mein ältester Sohn, geht nicht ans Telefon, deshalb schreibe ich ihm per SMS, das letzte Telefonat habe ich mit Edith. Sie ist schon wieder daheim, dann schalte ich das Handy mit einem mulmigen Gefühl aus, denn ich will während der Wanderung zu niemand anderem mehr Kontakt haben, als zu den Menschen, die mir auf dem Jakobusweg begegnen. Ein Entschluss, der in den ersten Wochen zu heftigen Gewissensbissen führt. Beim Start des Flugzeuges weine ich und bin sehr ergriffen, es wird zunehmend aufregender. Nach der Landung in Barcelona verlasse ich das Flughafengebäude, um Karl zu treffen. Ihn kenne ich vom Familienstellen. Wir wollen gemeinsam Mittagessen, doch Karl ist nirgends zu sehen. Später, als wir uns im Sommer in Deutschland wieder begegnen, stellt sich heraus, dass er selbst erst einen Tag vorher wieder in Barcelona gelandet ist und große terminliche Schwierigkeiten hatte. So kehre ich ohne Mittagessen und mit einer kleinen Enttäuschung über die ausgebliebene Begegnung ins Flughafengebäude zurück, um mir ein Ticket nach Sevilla zu kaufen. Am Schalter der Iberia erfahre ich leider eine deutliche Abfuhr. Von wegen alle Stunde, sagt der Mann hinterm Schalter in spanisch gebrochenem Englisch, frühestens um 18.00 Uhr könnte ich fliegen. Da rutscht mir das Herz in die Hose, es war doch alles so klar und nun schon der erste Rückschlag. Ich frage nach, meinem Hinweis, dass doch alle Stunde einer fliegt, begegnet er mir mit der Aussage, dass ich mindestens vier Stunden vor Abflug am Flughafen sein müsse. Ich gebe auf und verlasse frustriert und kraftlos den Schalter. Unschlüssig, was ich denn tun soll, wandere ich durch die Flughafenhalle vor den Schaltern der Iberia. Etwas sagt mir, dass da etwas nicht stimmen kann. So gehe ich, ohne dass es der Mann am ersten Schalter bemerken kann, er könnte ja sonst womöglich noch Einfluss nehmen, an das andere Ende der Schalterreihe, versuche es nochmal und bekomme von diesem Mitarbeiter sofort einen Flug nach Sevilla angeboten, den ich freudig annehme und  der eine Stunde später startet. "Bitte gleich zur Kontrolle und zum Einchecken", gibt er mir zu verstehen und telefoniert auch gleich noch. Nachdem ich meinen Rucksack abgegeben habe, geht der auf einer Abkürzung  zur Gepäckkontrolle. Dies wird von einer Mitarbeiterin der Fluggesellschaft übernommen, die schon auf mich wartet. Nun fühle ich mich wieder stark und freue mich über diese Geste der Iberia. Die Kontrollen, die sehr gründlich sind, durchlaufe ich schnell und werde direkt in die Wartezone für den Flug begleitet. Das ist ein tolles Gefühl und eine unendliche Erleichterung nach dieser Begegnung am ersten Schalter.

Der Flug ähnelt dem von Stuttgart nach Barcelona sehr. Die Spannung steigt beim Start und Spanien liegt im Sonnenschein unter mir. Um 16.30 Uhr betrete ich ergriffen in Sevilla die Kathedrale, um mir meinen Pilgerausweis zu holen. Der Raum ist in einer Nische im Eingang und ein älterer Herr stellt mir gegen ein Spende, die ich gerne gebe, den Pilgerausweis aus und gibt mir erste Hinweise für die Wanderung, damit ich nicht aus Versehen über Portugal wandere. Danach setze ich mich in eine Bank der Kathedrale, um diese Stimmung auf mich wirken zu lassen. Als ich die Kathedrale verlasse, schaue ich mich nach einem Geschäft um, in dem ich mir ein Spanischwörterbuch kaufen kann. Ein bisschen Spanisch soll schon sein, denke ich. Das Buch in der Tasche mache ich mich sogleich hochmotiviert auf den Weg. Doch noch nicht mal den Anfang des Weges finde ich, da mir gar nicht einfällt, wie der Weg gekennzeichnet ist. Wie wichtig sind doch da Wolfgangs Hinweise, die mir gerade jetzt nicht in den Sinn kommen. Nun bin ich schon einmal um die Kathedrale herum  gewandert und habe keine Markierung erkannt. Ok, sage ich mir, ist wohl doch keine so gute Idee, ganz ohne Kartenmaterial zu wandern und begebe mich in ein Touristinfo. Eine freundliche Spanierin erklärt mir auf Englisch, dass sie nur diesen einen Flyer mit insgesamt fünf Etappen darauf anbieten kann, dass es in Sevilla ein Büro gibt, in dem extra Planunterlagen für den Via de la Plata angeboten werden und erklärt mir den Weg. Mit einem Stadtplan in der Hand, den sie mir noch überreicht hat, und der Aussicht, dass ich nun doch bald auf dem Jakobusweg bin, begebe ich mich durch die Strassen und Gassen Sevillas in Richtung dem Büro. So lerne ich diese schöne Stadt, die an einem großen Fluss liegt und herliche Parkanlagen hat, ein bisschen kennen. Diese schön gestalteten Anlagen erfreuen mich und über eine schöne Brücke überquere ich den Fluss zu einem anderen Stadtteil. Als ich in der mir beschriebenen Strasse bin, finde ich die Hausnummer schnell und  finde das von mir so ersehnte Büro verschlossen vor. In Spanien ist noch Winter und da hat es nur Montag, Mittwoch und Freitag Abends von 19.00 bis 21.00 Uhr geöffnet. Erst ab 1. April gelten die täglichen Sommeröffnungszeiten. Schon wieder ein Rückschlag, geht es mir durch den Sinn. Enttäuscht und auch frustriert setze ich mich im Innenhof auf eine Bank, von denen es hier viele gibt,  und esse erst mal was von dem, was ich mir daheim eingepackt habe. Naja, dann bleib ich halt in Sevilla, nehme mir ein Zimmer, aklimatisiere mich, hole am Mittwoch die Unterlagen und beginne meine Wanderung eben am Donnerstagmorgen. Etwas traurig, doch zuversichtlich mache ich mich wieder auf den Weg zur Innenstadt. Vier Hotels habe ich schon passiert, doch keines sagt mir zu. Da es warm und meine Wasserflasche schon  leer ist, überwinde ich mich, um mit meinen ersten Spanischkenntnissen in einer Bar um Leitungswasser zu bitten. Der Kellner erklärt sich bereit, doch der Besitzer bedeutet ihm, mir Sodawasser statt Leitungswasser einzufüllen. Das Wasser schenkt er mir und wünscht mir alles Gute. So kommt es jedenfalls bezüglich meiner Spanischkenntnisse bei mir an. Nun gehe ich weiter, zurück über diese wunderschöne Brücke, die ich schon einmal gewandert bin und an deren Anfang die Bar liegt. Bei einer kurzen Rast am anderen Ufer geniesse ich meinen ersten Sonnenuntergang in Spanien an der Uferpromenade. Danach wird es schon merklich kühler. So wandere ich weiter Richtung Innenstadt und stehe Abends um ca.19.00 Uhr auf einem Platz in Sevilla, um auf meinem Stadtplan zu erkunden, wo ich mich in dieser schönen Stadt gerade befinde.

Wie ich da so in meinen Stadtplan versunken stehe, spricht mich ein spanisch sprechendes Ehepaar an und fragt mich ob ich ein Perregrino bin. Das Wort kenne ich schon vom Pilgerausweis. Erstaunt schaue ich auf und blicke in zwei freundliche Augenpaare. Gerade fühle ich mich noch allein und verlassen und nun diese wunderbare Begegnung. Ich bestätige und wir setzen die Unterhaltung auf Englisch fort. Was ich denn vorhabe, will der mit Jakobusemblemen reich geschmückte und verständnisvoll dreinblickende Mann von mir wissen. Ich schildere ihm meine Zeit und die Erlebnisse in Sevilla. Die Frau schaut mich erstaunt an und nickt zustimmend und verständnisvoll zu meinen Schilderungen. Da lächelt der Mann und erklärt mir, dass er den Flyer, den ich in der Touristinfo erhalten habe, entworfen hat und verteilt. Ebenso würde er das Büro leiten, in dem ich mir Pläne besorgen wolle. "Es hat keinen Sinn zu warten", ergänzt er, denn alle Unterlagen sind in Spanisch verfasst, und da ich ja kein Spanisch kann, sei es eh sinnlos, zu ihm zu kommen. Da fasst er mich an den Schultern dreht mich um und weist auf eine Jakobsmuschel an einer Hausfassade hin. "There is the way, start now. You don´t need annything more". Welch eine Begegnung, die ich da als Fremder in einer so großen Stadt erleben darf. Alles wendet sich zum Guten, und mit herzlichen Umarmungen verabschieden sie mich auf meinen Weg, ein letztes Winken und sie sind ausser Sichtweite.Glücklich folge ich den Jakobusmuscheln an den Häusern durch die Strassen von Sevilla, wieder führt mich der Weg über die gleiche Brücke über diesen breiten Fluss und ich darf die Wanderung beginnen.

So begann also am Abend um 19.30 Uhr meine Wanderung auf dem Jakobusweg, auf dem Via de la Plata, auf diesem alten Römerweg durch Spanien. So wie er beginnt, geht es weiter auf diesem Weg, den ich nun ohne Wanderführer, ohne Pläne und ohne Uhr antrete. Nach 39 Tagen bin ich in Finesterre.